Provinz c/o H8H

Anselm Baumann Katja Davar Jochem Hendricks Sandra Kranich Erik Schmidt Sean Scully

5. September bis 4. Oktober 2025

Anselm Baumann interessieren Oberflächen, Strukturen und das Experimentieren mit unterschiedlichen Materialien und Farben. Beton, Gips, Keramik, Porzellan, Kunststoff und Pigmente sind die Werkstoffe, die ihn dabei besonders faszinieren und von deren Materialeigenschaften er sich leiten läßt. Daraus schafft er wandfüllende, abstrakte Reliefs, die man sich förmlich erlaufen muss oder großformatige Skulpturen z.B. in Form fassartiger Vasen mit ungewöhnlichen Blumenbouquets. Eine wellenartige Struktur zieht sich wie ein roter Faden durch viele diese Arbeiten. Das die Oberfläche füllende, alles verbindende Muster stammt von Wellpappe, wie sie etwa zum Schutz von Weinflaschen verwendet wird. Häufig geben Alltagsgegenstände den Anlass für seine Formfindungen. In seiner jüngsten Werkgruppe, so auch in unserer Edition, sind es jedoch Austern und deren zwei “Gesichter“, die ihn hier herausforderten. Äußerlich ist die Auster unscheinbar, dunkel und verkrustet, innerlich von kostbarem, perlmuttfarbigem Glanz. Sie steht für kulinarischen Luxus und hat gleichzeitig eine neu entdeckte ökologischen Rolle. Seit Jahrhunderten gilt sie als Delikatesse, ein Symbol für Genuss, Überfluss und gesellschaftliches Prestige. Doch sie ist nicht nur Nahrungsmittel, sondern reinigt das Wasser, schafft Riffstrukturen für neue Lebensräume und wird weltweit von der Wissenschaft als Architektin gesunder Meere neu entdeckt. Anselm Baumanns übergroße Versionen aus Porzellan, Glasur und Perlmutt Lüster sind eine echte Hommage an diese bemerkenswerte, grandiose Muschel.

Anselm Baumann hat im Anschluss an seine Lehre als Bildhauer an der traditionsreichen Münsterbauhütte als Gast an der Kunstakademie in Karlsruhe studiert. Er war Stipendiat an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart und gründete das Unternehmen „Ostpool“, das für Künstler*innen wie Tobias Rehberger und Anne Imhoff produziert.

Anselm Baumanns Werke sind in bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, u.a. im Museum Pfalzgalerie, Kaiserslautern, Museum für Neue Kunst, Freiburg, Kunstmuseum Stuttgart, der Sammlung der Deutschen Bank, Frankfurt am Main, Kunstsammlung der Mobiliar, Bern.

Für die Werkreihe „Grains of Sand“ (seit 1999) ließ Jochem Hendricks Sandkörner zählen und in mundgeblasene Glasbehälter abfüllen. Die Zahl der Körner fungiert als Werktitel: „6.597.397 Sand Grains“,„9.114.182 Sand Grains“ usw. Die reine Zahl an Sand- körnern macht schwindelig, bedenkt man, dass sie alle korrekt gezählt, protokolliert und später umgefüllt wurden. Und die extrem aufwändige Genese ist nicht Nebensache, sondern Kern der Werkserie, bemisst sich doch auch ihr Preis am tatsächlich betriebenen und entlohnten Arbeitsaufwand. Der wiederum entzieht sich der Kontrolle, wollte man nicht die kostbare Hülle zerbrechen und damit das Kunstwerk zerstören.

 Unsere Edition „Oh Materie“ spielt auf diese ältere Arbeit an, die typisch ist für den konzeptuellen Ansatz des Künstlers. Sie folgt dem Vorbild aber nur in gewiss- er Weise. Die viel größeren Kiesel, die diesmal das kunstvoll geblasene, fragile Glas füllen, lassen sich ermessen. „Grains of Sand“ ebenso wie „Oh Materie“ sind als Metapher über den Wert der Kunst im doppelten Sinn zu verstehen. Steht bei erstgenanntem Werk eher die normalerweise nicht messbare Arbeit, die in ein

Kunstwerk gesteckt wird, im Vordergrund, so scheint es bei unserer Edition mehr der materielle Wert zu sein, der in die Waagschale geworfen wird. Beides sind sehr poetische Skulpturen, deren inhaltliche Deutung nur Hinweise bietet, ohne präzise Antworten liefern zu wollen auf die wiederkehrenden Fragen nach Wertschätzung bzw. dem Mehrwert von Kunst.

 Jochem Hendricks (geb. 1959, lebt in Frankfurt am Main) studierte ab 1980 an der Städelschule in

Frankfurt sowie in New York und Berlin. Hendricks ist bekannt für sein interdisziplinäres Werk,

das Zeichnung, Skulptur, Foto, Video, Text und Installationen umfasst. Seine Projekte sind häufig als Langzeitarbeiten angelegt, in denen er Kooperationen mit Wissenschaft, Technik und juristischen oder politischen Akteuren eingeht. Dabei stellt er gesellschaftliche Codes, Schönheitsideale, Wert- und Arbeitsbegriffe sowie ethische Fragen zur Diskussion.

Hendricks’ Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Museen gezeigt, darunter das San Francisco Museum of Modern Art, das Museum Haus Konstruktiv (Zürich), Kunsthalle St. Gallen, Bundeskunsthalle Bonn, Museum für Moderne Kunst Frankfurt, The New Art Gallery Walsall und viele weitere.

Der Maler und Filmemacher Erik Schmidt verhandelt in seinen Werken Fragen nach Identität, Gemeinschaft und Individualität. Seine Gemälde basieren auf Fotografien. Zunächst hat er nach den eigenen Aufnahmen gemalt und in den letzten Jahren die Fotografien übermalt. Mittels pastos aufgetragener Ölfarbe in kräftigen Tönen lenkt Erik Schmidt unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Details. Die gleiche Manier kann jedoch genau zum Gegenteil führen. Die Farbe verstellt unseren Blick oder lässt Dargestelltes komplett verschwinden. Die unglaublich mitreißende Dynamik der Arbeiten entsteht in Kombination aus der Wechselwirkung von Aufscheinen und Entschwinden, dem schwungvoll präzisen Setzen der Farben und dem Motiv. In der für Provinz entstandene Unikat Serie „Pizza Hut“ dynamisiert er den zäh fließenden Verkehr um den Potsdamer Platz in Berlin. Das Gemälde einer Palme zeigt sich im Wind wiegenden Palmwedel und Kokosnüsse, die zu wilden, sogartigen Farbstrudeln mutieren. Erik Schmidts Perspektive ermöglicht dem Betrachter hier einen Blick auf die Palmen von unten nach oben, was normalerweise verboten ist, um Verletzungen oder Tod durch herabfallende Kokosnüsse zu vermeiden. Zu der Zeit als Erik Schmidt ein Stipendium in der „one world foundation“ in Sri Lanka war und die ersten „palm bombs“ malte, herrschten hier Proteste und Unruhen und der Ukraine Krieg brach aus. Die angespannte politische Lage stand im krassen Gegensatz zu der paradiesisch anmutenden Landschaft der Insel.

Seine Werke wurden weltweit ausgestellt und sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten, z.B. Marta Herford, Leopold-Hoesch-Museum Düren, Sammlung der Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Bank Collection, Fundació la CAIXA, Barcelona, Spain, Berlinische Galerie, Belvedere, Wien, Reina Sofia, Madrid.

Das Kindl - Zentrum für Zeitgenössische Kunst, Berlin eröffnet am 13.09.25 eine umfangreiche Ausstellung des Künstlers. „The Rise and the Fall of Erik Schmidt“ zeigt Arbeiten aus vier Jahrzehnten.

Katja Davar beschäftigt sich in Videos, Zeichnungen und digitalen Animationen mit dem Verhältnis zwi-schen Mensch, Natur und neuen Technologien. Jede einzelne von Davars Arbeiten basiert auf einer intensiven Recherche zu der jeweiligen Thematik. So entstehen in dem Kölner Atelier der Künstlerin großformatige Zeich-nungen oder digitale Werke mit tiefgreifenden Referenzen zur internationalen Kunst- und Literaturgeschichte. Ihre facettenreiche Motivik greift utopische wie dystopische Aspekte moderner Lebenswelten auf. Dabei ver-steht die britisch-deutsche Künstlerin ihre digitale Kunst als eine Erweiterung ihrer zeichnerischen Praxis. Die Arbeit von Katja Davar schafft auf diesem Weg Bewusstsein dafür, dass die Grenzen zwischen menschlichem Handeln, technologischen Entwicklungen und organischer Umwelt nicht so klar verlaufen, wie wir manchmal annehmen.

Auch die Darstellung zweier Hunde weist über sich hinaus. Sie war Teil unserer Ausstellung „Lace it was“. Alle dort gezeigten Tiere sind Gemälden und Bilderzyklen aus verschiedenen Epochen und Kulturkreisen entlehnt. Beispielsweise stammen sie aus Persien oder auch England. Über die mit Lack und Tusche ausgeführte Zeich-nung hat die Künstlerin jeweils ein historisches Muster von Spitze mit weißer Farbe gesiebdruckt. Der Blick, der uns durch die Spitze gewährt wird, setzt ein mit der sogenannten „Entdeckung der Welt“, die verbunden ist mit der beginnenden rücksichtslosen Kolonialisierung durch die Europäer. Die Spitze erzählt viel über die Umstände in jener Zeit. Sie herzustellen, war viele Jahrhunderte die Handarbeit schlechthin. Sie erforderte Zeit, Geduld und Geschick. Entsprechend teuer wurde sie gehandelt und war unerschwinglich für alle Stände unter-halb des Adels. Trotz ihrer Schönheit offenbaren Davars Werke historische Strukturen und Machtverhältnisse und deren koloniale Kontinuität.“The Flock“ ist eine ganz neue Arbeit. Das mit Farb-, Bleistift und Aquarell auf Gesso auf einem Glasfaser-Globus umgestzte Motiv zeigt eine fiktive Landschaft und die Punkte visualisieren eine reale Flugroute bestimmter Zugvögel, die über den Pazifik führt.

Katja Davar lehrt als Professorin für experimentelles Zeichnen an der Hochschule Mainz. Ihr Studium absol-vierte Katja Davar am Central Saint Martins College of Art and Design in London, der Kunstakademie Düs-seldorf und an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt, z.B. 2020 - 2021 Notes from a Flickering Stage, Kunstver-ein Heilbronn (DE), 2020 These rooms of Earth and Stones, (with Michel Bouanger) Galerie de l‘UQAM, Mon-treal (CA), 2019 Electric Spinning Gaze, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl (DE), 2022 Ornamental Forest Geology, Kunstmuseum Gelsenkirchen (DE).

Das Werk von Sandra Kranich ist eine einzigartige Verbindung aus Zeichnung, Skulptur und Feuerwerk. Aus- gehend von geometrischen Zeichnungen und „Weltraumarchitekturen“ entwickelt sie dreidimensionale Skulptu- ren und Installationen, in denen sie Feuerwerk als malerisches und performatives Medium nutzt. Dabei lässt sie konstruktiv anmutende Gemälde und Skulpturen kontrolliert oder auch überraschend explodieren. Erst durch diese Transformationsprozesse entstehen die eigentlichen Kunstwerke, gezeichnet vom Licht des Feuers, durch Schmauchspuren oder durch die formverändernde Wucht der Explosion. Deformation und Zerstörung werden zum künstlerischen, produktiven Moment.

Unsere neue Edition „Double Fire“ zeigt ein loderndes Lagerfeuer, sozusagen den archaische Urahnen zeit- genössischer High-Tech-Feuerwerkskörper. Der Fine Art Print auf Fotopapier in kleiner Auflage entstand als digitale Collage aus zwei eingescannten analogen Bildquellen: zum einem die Bleistiftzeichnung der brennenden Äste auf einem Bett aus Kieseln und zum anderen eine durch Pyrotechnik kontrolliert verbrannte und dann in warmen Rot- und Gelbtönen gefärbte Bildfläche.

Sandra Kranich studierte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach und an der Städelschule Frankfurt als Meisterschülerin bei Thomas Bayrle. 2003 absolviert sie eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Pyrotechnikerin für Großfeuerwerke – ein seltenes Spezialgebiet im Kunstbereich. Kranichs Arbeiten wurden international gezeigt – etwa bei der 32. Biennale von São Paulo, im Wilhelm-Hack-Museum, in der Schirn Kunsthalle Frank- furt, im Art Foyer der DZ Bank sowie jüngst im Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin im Rahmen der Ausstellung „Durchgeknallt und abgebrannt“, Feuerwerkskünste aus fünf Jahrhunderten. Ihre Werke finden sich in renommierten Sammlungen und Ausstellungshäusern.


Die Ausstellung „Sean Scully Stories“ läuft vom 27. Juni bis 2. November 2025 im Bucerius Kunstforum in Hamburg. Zu sehen sind rund 60 Werke des renommierten Künstlers, der in diesem Jahr seinen 80. Geburts- tag feierte, aus über sechs Jahrzehnten - darunter großformatige Gemälde, Arbeiten auf Papier, Fotografien und Skulpturen.

Sie zeichnen sich durch geometrische Strukturen, starke Farbflächen und eine zugleich intuitiv-spirituelle Bild- sprache aus. Scully hat nur ganz wenige Werke mit gegenständlichen Motiven geschaffen, wie bei dem hier ge- zeigten Blatt.

„Ich wollte Kunst machen, die verbindet. Ich möchte die Welt zusammenfügen und Unterschiede abbauen. Ich sehe mich als Botschafter des Friedens und des Verständnisses – und Abstraktion ist ein Teil davon, denn sie ist eine Sprache, insbesondere die Art, wie ich sie mit diesen Grundstrukturen verwende, die allen Menschen

gemeinsam ist.“ (zitiert aus einen Interview mit Marta Gnyp, You, Me and Art. Artists in the 21st Century, Skira 2019)

Seine Edition zur Erinnerung an die Widerstandsgruppe Weiße Rose, die für Mut, Menschlichkeit und univer- selle Werte steht, spiegelt diesen Gestus eindrucksvoll wider. Der Verkauf der Edition unterstützt die Arbeit des neuen Gedenkortes “Lernort Weiße Rose” in Ulm.

Sean Scullys Werke sind weltweit in bedeutenden Museen wie dem Metropolitan Museum of Art in New York und der Tate Gallery in London vertreten.

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